Gedichte, 2018
Hintergrund: Die Gärtnerei war ein experimenteller, künstlerischer Gartenbetrieb. Es gab ein Projektzentrum auf dem Brachgelände am westlichen Rand des Jerusalemer Friedhofs, mitten in Berlin Neukölln. Junge, geflüchtete Menschen und Nachbarn, Jugendliche aus nahen Jugendzentren, Azubis und Student*innen arbeiteten mit nationalen und internationalen Künstler*innen. Dabei trafen bei den partizipativen Prozessen afrikanische und europäische Kulturvorstellungen aufeinander, und befruchten sich wechselseitig.
Projektpartner*innen: Kunsthaus Schlesische27 // Kulturstiftung des Bundes // Raumlabor // DER PARITÄTISCHE
(Auswahl)
1
Im alten Steinmetzhaus
kritische Tuchfühlung
zwischen jungen und alten Menschen
geflüchteten und denen, die schon immer da sind aber
„Du kannst dich nicht selbst auf den Rücken küssen
und auch nicht alle Dinge sagen“
heißt ein Sprichwort der Oromo,
eine Volksgruppe, die in Äthiopien und im Norden Kenias lebt
klar, sie waren ja zu erwarten, Missverständnisse und Konflikte, in der Gärtnerei
dennoch:
Der Mensch ist die beste Medizin des Menschen, weiß man in Nigeria und
ich glaube es ihnen
2
Flucht erzeugt Radikalität
und jetzt gärtnern
wo doch alles funkelt
und glänzt, in der Welt
der anderen, die auch meine werden soll?
Neue Verheißung im Land des Wohlstands
aber erfolgreich
sieht ganz anders aus.
Es sollte doch alles besser werden und jetzt zurück zur Erde?
Die nicht meine ist
sondern ihre
wühlen im Garten?
Unzufriedenheit wächst sich ein
zwischen auch haben wollen und sein
im Streben nach Wohlstand
und jetzt zur Gartenarbeit verdonnert?
Ich bin auch nur ein Konsument unter vielen
auf der ganzen Welt
auf der Handys doch viel cooler sind, als ein Spaten
und Geld, Geld, Geld nötig ist, um mitspielen zu können
und keine Blumen.
Denn seid ehrlich, wer von Euch anderen
macht sich die Hände schon schmutzig?
3
Hülle und Fülle
es ist eine Frage der Perspektive
weil in Deutschland der Mais aus der Dose kommt
die Felder am Stadtrand sind längst vergessen
in Afrika sieht das Leben ganz anders aus
und so wächst sich die Frage nach dem Sinn
durch das Gras
in den Garten
in die Entscheidung
was gepflanzt werden soll
Mais sagen die Afrikaner
Blumen erwarten die Europäer
Verständnislosigkeit auf beiden Seiten
wie ticken die?
die ticken ganz anders
und die Frage nach der Sinnhaftigkeit wächst sich
durch das Gras
in den Garten
weil eine Anpflanzung doch einen Nutzen bringen muss
mit Ziel und Zweck
Anmut ist nicht so wichtig, wenn der Hunger
sich durch den Körper und Geist frisst
aber die Nachbarn in Neukölln kommen gerade vom Essen
und wissen gar nicht
was sie mit dem Mais auf dem Friedhofsfeld anfangen sollen
sie möchten Blumen in Hülle und Fülle
Dosenmais gibt es im Supermarkt
49 Cent das Stück